Vergangenen Sonnabend hatte ich Geburtstag und durfte mich über eine ganze Menge liebe digitale und analoge Glückwünsche freuen. Ein ganz besonderer Gruß erreichte mich allerdings von meiner Schulfreundin Anke. Mit ihr hatte ich in der Schulzeit eine kleine Zeitschrift herausgegeben: „Der kleine Zoobesuch und andere Viechereien“. In all den Jahrzehnten, die seither vergangen sind, musste ich immer davon ausgehen, dass sämtliche Exemplare dieser Zeitschrift den Umzügen und Aufräumaktionen zum Opfer gefallen sind, die das Leben nun einmal mit sich bringt. Ich war immer ein bisschen traurig darüber, denn ich hätte zu gern einmal wieder in diesen handgefertigten Heftchen geblättert. Doch auf dem Dachboden von Ankes Eltern schlummerte irgendwo tatsächlich noch ein Karton mit unsere selbstproduzierten Zeitschriften von damals.
Und so erreichte mich zu meinem Geburtstag ein Brief, der ein Exemplar der 7. Ausgabe des „Kleinen Zoobesuch“ von August 1983 enthielt. Sie hätte mich kaum mehr überraschen können. Den Passus in der Rubrik „Mein Werdegang“ meiner Website werde ich ein wenig umschreiben müssen. Und kann die Geschichte meiner ersten journalistischen Gehversuche bei dieser Gelegenheit gleich einmal ein bisschen ausführlicher erzählen.
Journalismus war von Kindesbeinen an mein Traumberuf. Und ich hatte nicht vor, bis irgendwann nach dem Abitur damit zu warten: Bereits als Zwölfjährige gab ich meine erste eigene Zeitschrift heraus, ein kleines Pferdemagazin namens „Hoppereiter“. Ich schrieb es an einer kleinen Reiseschreibmaschine, illustrierte es liebevoll mit eigenen Zeichnungen und vervielfältigte es eigenhändig am Kopiergerät im Keller der Arztpraxis meines Vaters. Ich mochte nicht nur das Schreiben selbst, sondern beschäftigte mich auch gern mit der Rubriken-Einteilung, achtete auf Kontiunität und eine gute Leser-Blatt-Bindung.
Insgesamt zwei Jahre lang brachte ich jeden Monat eine solche Zeitschrift heraus, die ich an andere Pferdenarren und meine Schulfreunde vertrieb. Ich unterhielt Austausch-Abonnements mit anderen selbstproduzierten Pferdezeitschriften (Marktbeobachtung ist ja so wichtig!) und schwatzte natürlich auch meiner gesamten Verwandtschaft Abos auf, zu bezahlen bitte im Voraus in Briefmarken. Meine verstorbene Oma hat mir unter anderem eine postalische Mahnung hinterlassen, die ich ihr geschickt hatte, als sie mit der Bezahlung ein wenig in Verzug geraten war. Ich hatte hierfür eigens einen kleinen Vordruck produziert.
Der „Hoppereiter“ löste seinerzeit einen ungewöhnlichen Trend in meiner Schulklasse aus: Innerhalb kürzester Zeit konkurrierten sieben schülerproduzierte Zeitschriften um die Gunst eines engen Marktes von 30 potenziellen Lesern der 6. Klasse. Da gab es eine Tier-Zeitschrift, ein Naturschutz-Magazin, eine Zeitschrift im Stil der „Bravo“, ein Satireblatt in Anlehnung an die „Mad“, ein Magazin für Autofreunde und noch eines, an dessen thematischen Fokus ich mich nicht mehr erinnere. Ich weiß allerdings noch, dass unsere Lehrerinnen und Lehrer ziemlich fasziniert von diesem Phänomen waren. Unsere Klassenlehrerin jedenfalls war treue Abonnentin meines „Hoppereiters“: Ihre reitbegeisterte Tochter klebte die schwarz-weiß kopierten Poster auf farbige Pappe und hängte sie in ihrem Kinderzimmer auf.
Natürlich trat bald der Effekt ein, den man in jedem Wirtschaftszweig bei einer Marktübersättigung beobachten kann: Einzelne Wettbewerber warfen das Handtuch, andere überlebten durch Konsolidierung. Der „Hoppereiter“ jedenfalls hielt sich durch Fusion mit Ankes Magazin „T wie Tier“ zu dem neuen Titel „Kleiner Zoobesuch und andere Viechereien“: Nach dem Zusammenschluss ging es in der ersten, von Anke betreuten Hälfte um Tiere ganz allgemein, in meiner zweiten Hefthälfte ausschließlich um Pferde. Auf diese Weise überdauerte das Magazin bis irgendwann in 1984. Es überlebte im Laufe dieser Zeit übrigens auch eine Gegendarstellung auf Seite 1. Ich kann also mit Fug und Recht sagen, dass ich mit vielen kritischen Facetten des Blattmachens schon im Alter von 12 bis 14 konfrontiert wurde.
Nun liegt also endlich wieder eines dieser handgearbeiteten kleinen Heftchen aus den 1980er Jahren vor mir. Ich muss schmunzeln, denn in meiner nostalgischen Verklärung hatte ich das Magazin bis jetzt deutlich professioneller in Erinnerung. Zum Glück konnten uns damals mangels Internet-Verbreitung noch keine Abmahn-Anwälte auf die Schliche kommen. Sie hätten einiges zu tun gehabt: Viele Texte und Bilder stammten aus den Zeitschriften „Pferde Heute“ und „Ein Herz für Tiere“, die wir nicht nur aus persönlichem Interesse, sondern auch unter dem Aspekt der Weiterverwertung lasen. Wir schnitten viele Elemente einfach aus und klebten sie in unsere Kopiervorlage. Ein urheberrechtlicher GAU, für den mir damals jegliches Unrechtsbewusstsein fehlte.
Doch die Fortsetzungsgeschichte „Endlich ein eigenes Pferd!“ stammte definitiv aus meiner eigenen Feder (meine Eltern ließen sich übrigens trotzdem nicht erweichen, mir ein eigenes Pferd zu kaufen), auch das Preisrätsel und diverse Zeichnungen von Pferden habe ich immer selbst angefertigt. Urheberrechtlich unbedenklich ist auch das Foto unseres Familien-Cockerspaniels „Cessy“, das sie als Welpe mit wehenden Ohren über die Wiese rennend zeigt. Ebenso wie das Bild des drei Tage alten Fohlens Gina, das ich in einem meiner vielen Reiturlaube fotografiert hatte. Während meines Reiturlaubs war nämlich Ginas Mutter, die trächtige Stute Feuerfee, mein Pflegepferd gewesen. Ich erinnere mich genau, wie ungeduldig ich der Geburt des Fohlens entgegengefiebert hatte. Noch vor dem Frühstück rannte ich jeden Morgen in den Stall um nachzuschauen, ob es in der Nacht vielleicht geschlüpft war. Irgendwann war es dann tatsächlich da, und ich verbrachte den Rest des Reiturlaubs fast ununterbrochen mit Mutter und Tochter in ihrer Pferdebox.
Nicht abgeschrieben oder kopiert waren auch die Gastbeiträge von Kirsten, einer 14-jährigen Pferderedakteurin aus Detmold, die in ihrer Zeitschrift die Aktivitäten ihres Steckenpferd-Clubs dokumentierte. Kirsten und ihre Freundinnen praktizierten damals schon, was heute als neuer Trendsport aus Finnland zu uns herüberzuschwappen scheint: echte Turniere mit Dressur- und Springreiten auf selbstgebastelten Steckenpferden. Ich hatte Kirsten über eine Kleinanzeige aus der Rubrik „Brieffreundschaft gesucht“ in der Pferdezeitschrift „Wendy“ kennen gelernt. Persönlich begegnet bin ich ihr nie, doch wir hielten über unsere Austauschabonnements und Gastbeiträge eine ganze Weile intensiven Kontakt.
Wie sähen „Hoppereiter“ und „Kleiner Zoobesuch“ wohl aus, wenn ich sie mit den heutigen Mitteln hätte produzieren können? Mit der Möglichkeit der Internetrecherche, der Gestaltung am PC mit einem ordentlichen Layout, in dem man Bilder bei Bedarf auf in der Größe anpassen kann (!)… Wenn beim „Hoppereiter“ oder „Zoobesuch“ ein Bild nicht so recht passen wollte, musste ich die Bildunterschrift halt handschriftlich irgendwie drumherum schreiben. Und wenn ich mich an der Schreibmaschine vertippt hatte, verzichtete ich oft darauf, die ganze Seite neu zu tippen, sondern korrigierte den Fehler einfach handschriftlich.
Zum Glück scheint das Genre „selbstproduzierte Jugendzeitschrift“ noch nicht ausgestorben zu sein. Vor einer Weile kaufte ich in Berlin einem etwa zwölfjährigen Jungen ein Exemplar seiner Zeitschrift ab, in der er über seinen Kiez berichtete. Ich erinnere mich an einen Eisdielen-Test, Nachrichten aus seiner Schule und Portraits verschiedener Läden in seinem Viertel. Sehr niedlich, aber tatsächlich auch ziemlich gut gemacht. Ich sollte vielleicht einmal in meinen Schubladen kramen, nach diesem Heftchen suchen und es mit meinem eigenen Frühwerk vergleichen.
Doch zurück zum „Kleinen Zoobesuch“: Dieser wunderbare Geburtstagsgruß hat nicht nur eine Menge Erinnerungen wachgerufen, sondern mir auch noch einmal verdeutlicht, dass ich genau in dem Beruf gelandet bin, den ich schon von Kindesbeinen an ausüben wollte. Und das empfinde ich als ein sehr großes Geschenk.