Datenkonzerne als medizinische Dienstleister: Demnächst werden also tatsächlich Apple-Kliniken Realität

Bei Bibliomed war heute nachzulesen, dass der Technologiekonzern Apple in diesem Frühjahr den Betrieb von Kliniken für seine Mitarbeiter und ihre Familien starten will. So sollen unter dem Namen AC Wellness zunächst zwei Kliniken in der Nähe des Hauptsitzes von Apple in Santa Clara County (Kalifornien) aufgebaut werden. Diese Nachricht hat mich beinahe ein wenig erschreckt. Denn als ich Anfang Dezember 2017 beim „Forum Ambulantes Operieren“ in Berlin den Keynote-Speaker Prof. Stefan Stoll aus Basel über seine Vision einer „Apple-OP-Praxis“ sprechen hörte, kam mir diese Option doch noch etwas weiter entfernt vor.

Auszug aus meinem aktuellen Artikel zu Digitalisierung und Netzwerken

Aus diesem Anlass deshalb hier ein Auszug aus meinem Bericht von ebendieser Veranstaltung, der in Ausgabe 1.2018 der Zeitschrift „Chirurgen Magazin + BAO Depesche“ erschienen ist. Den vollständigen Artikel findet man in der PDF-Version des Magazins ab Seite 18.

Keynote Speaker Prof. Stefan Stoll: Digitalisierung und Disruption in einem überregulierten System 

Medizin 4.0, Digitalisierung und Big Data sind Schlagworte, die vielen Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten, Unbehagen bereiten: Sie fürchten den Missbrauch von Daten, die Entmündigung des Einzelnen und die Fremdsteuerung durch Großkonzerne. Der Keynote-Speaker beim diesjährigen Forum Ambulantes Operieren am 1. Dezember 2017 in Berlin, Prof. Stefan Stoll vom Freiburger Instituts für Management im Informationszeitalter, kann diese Bedenken nachvollziehen. Als Experte für disruptive Innovationen in der digitalen Wirtschaft verfolgt er die Entwicklung auf dem Gebiet der Digitalisierung intensiv.

Allerdings mochte er die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des von B. Braun ausgerichteten Kongresses auch nicht schonen: „Der Prozess lässt sich nicht aufhalten, Sie werden Google & Co. nicht mehr aus der Welt schaffen.“ Die großen Player aus dem Silicon Valley scharren also längst ungeduldig mit den Hufen, um auch im Gesundheitswesen Fuß zu fassen und die Medizin 4.0 voranzubringen. Dabei unterschied er strikt zwischen Innovation und Disruption: „Der Schritt von der Vinylschallplatte zur CD war Innovation, denn bis auf den Datenträger änderte sich nicht viel, weder am Geschäftsmodell von Plattenfirmen, noch an der grundsätzlichen Vertriebsstruktur“, erklärte Prof. Stoll. Disruption erlebte die Musikbranche erst mit dem Aufkommen von Streamingdiensten, die gänzlich andere Vertriebs- und Nutzungsarten hervorgebracht haben.

Übertragen auf den Medizinsektor bedeutet dies: Die bloße Digitalisierung der Dokumentation und Kommunikation in Arztpraxen ist zwar innovativ, doch die disruptiven Entwicklungen stehen Ärztinnen und Ärzten erst bevor: „Wie würde Apple eine OP-Praxis organisieren?“, fragte Prof. Stoll und entwarf die Vision eines smart vernetzten OP-Saals, in dem alle Beteiligten drahtlos auf die digitale Patientenakte sowie die Echtzeitdaten der Wearables des Patienten auf dem OP-Tisch zugreifen können – und in dem auch die Instrumente vernetzt agieren. Ein wichtiges Ausstattungselement in der Vision einer Apple-OP-Praxis ist der DocPod – eine kleine Box, die ähnlich einem Alexa-Sprachassistenzen dem Treiben im Raum lauscht, im Hintergrund auf Datenbanken und Leitlinien zugreift und den Akteuren am OP-Tisch in Echtzeit Ratschläge zum weiteren Vorgehen erteilt.

Ärztlicher Sachverstand wäre nach Einschätzung von Prof. Stoll allerdings auch im Zeitalter von Medizin 4.0 und Apple-Vertragsarztpraxen unverzichtbar. Chirurginnen und Chirurgen der Zukunft wären in diesem Szenario keineswegs fremdgesteuerte OP-Roboter, die im Akkord am Fließband operieren. „Ärztinnen und Ärzte sind Raffinerien für das neue Rohöl Daten“, meinte Prof. Stoll. Sie könnten auf Basis ihres Wissens und ihrer Erfahrung aus der Flut medizinischer Daten Verwertbares herausextrahieren und sinnvolle Verknüpfungen herstellen.

Bei dieser Aufgabe können sie künftig allerdings noch stärker als heute auf digitale Unterstützung setzen:  „Bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens geht es um weit mehr als um Effizienzsteigerung, sondern vielmehr um die Umwälzung ganzer Geschäftsfelder.“ Prof. Stoll veranschaulichte den Prozess am Beispiel der Elektromobilität. Hier baut der Elektroauto-Hersteller Tesla Autos um die Software herum, sodass die Fahrzeuge nach einem nächtlichen Update am nächsten Morgen über völlig neue Funktionen verfügen. Auch die Medizinbranche werde sich weg von produktbezogenen hin zu Update-bezogenen Geschäftsmodellen entwickeln. Das werde auch die Hersteller von chirurgischen Instrumenten betreffen, prophezeite Prof. Stoll. Operierende Ärztinnen und Ärzte könnten sich ihre OP-Instrumente dann mit dem 3D-Drucker selbst anfertigen, währen die Hersteller von OP-Ausstattung ihr Geld vor allem mit dem Verkauf der dafür erforderlichen Software samt kontinuierlicher Updates verdienen.

Allerdings fehlt es Prof. Stoll zufolge in vielen Branchen an Zeit und Bereitschaft, sich kreativ mit möglichen neuen Zukunftsfeldern zu beschäftigen, die sich durch disruptive Innovationen erschließen lassen – selbst wenn Ökonomen predigen, dass genau hier das größte Potenzial für Wertschöpfung schlummert. Die meisten Unternehmen seien voll und ganz damit beschäftigt, die Herausforderungen des Jetzt und Hier abzuarbeiten und mit dem SOY – kurz für „shit of yesterday“ – zu kämpfen, erklärte Prof. Stoll. Dass auch das überregulierte Gesundheitswesen seine Akteure mit immer neuen Anforderungen und viel SOY im Hier und Jetzt hält, anstatt Freiräume für die Beschäftigung mit Innovation und Disruption zu gewähren, zeigte sich eindringlich in den Sitzungen am 2. Dezember 2017 des Forums Ambulantes Operieren.

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