Nicht weniger als ein „geschlossenes Regelsystem, das unter die Haut eingesetzt wird und vollautomatisch den Blutzuckerspiegel für 3 Tage regelt und dann nachgefüllt werden kann“ versprach eine Meldung, die kurz vor dem ATTD-Kongress in vielen Medien und Facebook-Gruppen geteilt wurde. Das Ärgerliche daran: Sie stimmt ganz einfach nicht. Ich habe einmal nachgeforscht.
Der ATTD-Kongress (ATTD steht für Advances in Technlogies and Treatments of Diabetes) ist immer für ein paar technische Neuheiten und Überraschungen gut. Immerhin trifft sich dort die internationale Créme de la Créme der Wissenschaftler und Unternehmen, die auf dem Gebiet der Diabetestechnologie herumtüfteln. Doch was im Vorfeld des diesjährigen ATTD, der Mitte Februar 2018 in Wien stattgefunden hat, als vermeintliche sensationelle Innovation angekündigt wurde, toppte doch alles bisher dagewesene.
Man konnte die Nachricht nahezu wortgleich u. a. im Fachkreise-Portal Diabetologie-Online und auf der Website der renommierten österreichischen Tageszeitung „Der Standard“ nachlesen. Diese beiden Medien bürgen ja eigentlich für eine gewisse Qualität. Doch wenn man beim Lesen des Textes den Verstand einschaltet, dann sollten einem eigentlich ein paar Ungereimtheiten auffallen und einen stutzig machen. Ich stolperte als erstes über den Einstieg: Danach haben mittlerweile acht Prozent der Weltbevölkerung Diabetes, und alle 50 Minuten stirbt in Österreich ein Mensch daran. Bei solchen Zahlen dürfte dem halbwegs informierten Leser klar sein, dass von Typ-2-Diabetes die Rede ist, auch wenn die Unterscheidung im Text natürlich nicht getroffen wird. Wörtlich heißt es in der Meldung:
Weltweit sollen über 366 Millionen Menschen, das sind ca. 8 % der Weltbevölkerung, an Diabetes leiden. Bis 2030 wird ein Anstieg auf 552 Millionen Diabetikern – bzw. 10 % der Weltbevölkerung – gerechnet. Alleine in Österreich stirbt so alle 50 Minuten ein Mensch an den Folgen des Diabetes. Das sind 10.000 Menschen im Jahr. „Gerade angesichts dieser erschreckenden Entwicklungen ist es besonders wichtig, sich mit neuen Technologien auseinanderzusetzen und sie für den Kampf gegen Diabetes einzusetzen,“ so Dr. Tadej Battelino, Kongresspräsident der International Conference on Advanced Technologies for Treatment for Diabetes – kurz ATTD – die dieser Tage (von 14. bis 17. Februar) im Austria Center Vienna stattfindet. Seit 11 Jahren setzt sich die ATTD-Konferenz intensiv für die Implementierung neuer, verbesserter Diabetestherapien ein.
Ein solcher Einstieg passt allerdings überhaupt nicht zu dem eigentlichen Thema des Textes, nämlich technischen Innovationen für die Therapie von Typ-1-Diabetes, um die es beim ATTD-Kongress in der Regel vorrangig geht. Nun gut, das mag man vielleicht noch als bloße Ungeschicklichkeit abtun. Doch es wird leider nicht besser. In dem Text wird ATTD-Kongresspräsident Dr. Tadej Battelino mit folgenden Worten zitiert:
„Heuer ist uns mit der Einführung der vollautomatischen, implantierten Insulinpumpe ein großer Meilenstein gelungen,“ freut sich Battelino.
Moderne Insulinpumpen gehen unter die Haut
Konkret handelt es sich bei dieser modernen Insulinpumpe um ein geschlossenes Regelsystem, das unter die Haut eingesetzt wird und vollautomatisch den Blutzuckerspiegel für 3 Tage regelt und dann nachgefüllt werden kann. „Möglich ist dies durch eine Insulinpumpe, die per modernen Sensor permanent den Blutzucker misst und bei Bedarf die erforderliche Menge an Insulin zuführt. Damit verhelfen wir unseren Patienten zu einem völlig neuen Lebensgefühl,“ erklärt der renommierte Mediziner von der Meduni in Ljubljana. „Diese geschlossenen Regelsysteme sind, nach jahrelangen klinischen Studien, nun seit Herbst in der USA im Einsatz. Ab Juni diesen Jahres sollten sie dann auch in Europa erstmals erhältlich sein,“ freut sich Batellino. Im ersten Schritt bedeutet diese neue Technologie vor allem für Typ-1 Diabetiker, dessen Blutzuckerwerte mit konventionellen Insulintherapien nur schwer in den Griff zu bekommen sind, einen enormen Fortschritt. Alleine in Österreich sind 30.000 Menschen vom Typ-1-Diabetes betroffen. „Langfristig soll die moderne Insulinpumpe mit dem geschlossenen Regelsystem aber nicht nur für den Typ-1-Diabetes, sondern für alle Formen der Diabetes eingesetzt werden,“ so der Kongresspräsident zuversichtlich.Europäische Krankenkassen signalisieren ihre Unterstützung
Besonders stolz ist Battelino, dass auch die Verhandlungen mit den europäischen Krankenkassen auf Schiene sein dürften. „Wir sind sehr zuversichtlich, dass die Institutionen, die für die europäische öffentliche Gesundheit verantwortlich sind, bald entsprechende Kostenübernahmen oder Rückvergütungen für den Einsatz dieser vollautomatischen Insulinpumpe anbieten werden,“ erklärt Battelino.Intelligenten Überwachungssystemen gehört die Zukunft
Bereits jetzt sind neuartige intelligente Überwachungsassistenzsysteme im Einsatz, die 6 Monate lang durchgehend den Blutzuckerspiegel der Patienten messen und analysieren können. Diese automatischen Überwachungssysteme geben den Ärzten basierend auf detaillierten Datenanlaysen und Algorythmenprognosen konkrete Therapievorschläge für das Fine-Tuning in der Indsulindosierung. Zukünftig sollen diese intelligenten Überwachungssysteme auch direkt den Patienten Unterstützung in ihrem persönlichen Insulin-Management geben.
Ich weiß ja nicht, wie es euch beim Lesen dieser Zeilen geht, aber durch mein Hirn ratterten gleich folgende Gedanken:
- Es kommt tatsächlich dieses Jahr das Minimed 670G „Hybrid Closed Loop System“ (Fa. Medtronic) auf den Markt, der erste marktreife halbwegs automatisierte Regelkreis zwischen Insulinpumpe und CGM-System. Es wird allerdings nicht implantiert.
- Bei einem implantierbaren System denke ich an das CGM-System Eversense (Fa. Senseonics), dessen Sensor aktuell 90 und bald 180 Tage Liegezeit unter der Haut hat und währenddessen kontinuierlich die Glukosewerte misst. Aber eben kein Insulin abgibt. Wo sollte das denn auch herkommen? Will man den Patienten alle drei Tage aufschneiden, um irgendwie Insulin nachzufüllen? Oder wurde zwischenzeitlich die berührungslose Druckbetankung via Bluetooth erfunden?
- Bei drei Tagen Insulinvorrat denke ich an die „Einweg-Insulinpumpe“ OmniPod, die ohne Schlauch direkt auf die Haut geklebt wird und drei Tage lang Insulin aus dem Reservoir abgibt. Sie wird aber nicht implantiert und kommuniziert auch nicht mit einem CGM-System zur kontinuierlichen Glukosemessung.
- Wie soll ich das verstehen, dass das neue vollautomatisierte System erst Typ-1-Diabetikern, auf lange Sicht aber auch allen Typ-2-Diabetikern zur Verfügung stehen soll? Wir wissen doch, dass die Mehrheit der Typ-2-Diabetiker gar kein Insulin spritzt, sondern mit anderen Medikamenten behandelt wird. Sie brauchen gar keine Insulinpumpen.
- Die Aussage, Dr. Battelino sei bereits in Verhandlungen mit „europäischen Krankenkassen“ zwecks Kostenerstattung bzw. Kostenübernahme, finde ich ebenfalls abenteuerlich. Was genau sind „europäische Krankenkassen“? Jedes Land hat ein anderes Gesundheits- und Sozialsystem mit völlig unterschiedlichen Wegen, über die neue Produkte in den Leistungskatalog ihrer Sozialversicherungsträger aufgenommen werden.
- „Algorythmus“ schreibt man eigentlich so: Algorithmus.
Ich beschloss also, diese Meldung in die Kategorie „Fake News“ einzusortieren, zumal beim ATTD-Kongress selbst weder in der Industrieausstellung noch bei den Vorträgen die Rede war von dieser bahnbrechenden Innovation. Doch in diversen Facebook-Gruppen hatte sie längst weite Kreise gezogen – verständlich, so verheißungsvoll wie sie auf den ersten Blick klingt.
Also schaute ich einmal nach, aus welcher Quelle die Information eigentlich kam. Das war nicht weiter schwierig, denn Diabetologie-online.de hatte am Ende des Beitrags dorthin verlinkt. Urheber war also die Pressestelle des Austria Center Vienna, also des Kongresszentrums, in dem der ATTD-Kongress zu Gast war. Solche Kongresszentren organisieren heute Diabeteskongresse und morgen vielleicht Branchentreffen der Automobilindustrie oder der Immobilienfinanzierer. Besondere Expertise in Sachen Diabetes ist da nicht zu erwarten – und das sollte auch einer Redaktion klar sein, die eine solche Pressemitteilung erhält und erwägt, sie aufzugreifen.
Ich wollte also wissen, woher die Pressestelle ihre Informationen bezogen hatte. Auch dies erfordert noch keine besonderen Fähigkeiten als Investigativreporter, denn die Kontaktdaten der zuständigen Dame in der Pressestelle finden sich direkt unter der Pressemitteilung. Also schrieb ich sie an und konfrontierte sie mit meinen obigen Zweifeln und Gedanken. Auf diese Anfrage habe ich leider bis heute keine Antwort erhalten. Als nächstes schrieb ich der Redaktion des „Standard“ an, hierfür nutzte ich den Feedback-Button unter dem Artikel. Auch auf diese Nachricht erhielt ich keine Antwort.
Wer mir antwortete, war Dr. Tadej Battelino, den ich ebenfalls angeschrieben hatte um herauszufinden, wie diese Zitate zustande gekommen sind, die man ihm in der Pressemitteilung zugeschrieben hat. Auch er ist nicht schwer ausfindig zu machen. Wenn man seinen Namen googelt, findet man als einen der ersten Einträge einen Link zu seinem Profil bei „Research Gate“, einen Portal, in dem man Informationen über Wissenschaftler und ihre jeweiligen Forschungsgebiete finden kann. Research Gate zufolge forscht Dr. Battelino intensiv an allen möglichen Projekten rund um den Typ-1-Diabetes, darunter zur Genetik des Typ-1-Diabetes, aber auch zur kontinuierlichen Glukosemessung. Google spuckt aber auch einen Link zur pädiatrischen Universitätsklinik Llublijana aus, wo er tätig ist. Und hier findet man auch seine persönliche E-Mail-Adresse. Alles kein Hexenwerk.
Dies ist die Antwort von Dr. Battelino, die mich ein paar Tage später erreichte:
There are indeed some inaccuracies in the press release. The reason for this is that I got it in German just before the ATTD and I obviously overestimated my grasp of German as I did not see these mistakes. It only appeared to me when I saw the released English version.
However, the release was generally well accepted and now several companies were invited to give exact information about their products to various media. Please help to spread the correct news in German, I will work on the English one.
If you put and “s” in the end of “European healthcare insurance”, the statement is OK – this is how it was meant. Several EU public insurance systems are reimbursing CGM and CSII, and according to the current information this should also cover the CL systems.
And of course, only insulin-depended type 2 was meant. As you know, France does not distinguish CSII reimbursement by the type of diabetes but by the insulin need, and as far as I know several other insurance systems decided to reimburse CGM (of FGM) for type 2 patients on MDI.
Again, I am sorry for all the mistakes and thank you very much for helping me spread the correct news, which was my intention from the very beginning. I will certainly be more careful next time.
Sprich: Dr. Battelino hat von der Pressestelle einen deutschsprachigen Entwurf für die Pressemitteilung erhalten und gar nicht vollumfänglich verstanden, welche Zitate ihm da in den Mund gelegt wurden. Er entschuldigt sich für die „Ungenauigkeiten“, die in der verbreiteten Fassung deswegen enthalten sind und bittet mich, dazu beizutragen, die korrekten Informationen zu verbreiten. Dieser Bitte komme ich gern nach . Ein großes Medienecho ist ja eine feine Sache, doch es sollte ja wohl auf Fakten und nicht auf munter verquirlten Ungereimtheiten beruhen.
Und um wirklich ganz sicher zu gehen, wandte ich mich auch noch an Prof. Lutz Heinemann vom Profil Institut für Stoffwechselforschung GmbH in Neuss, an dem man (nicht nur hierzulande) auf keinen Fall vorbeikommt, wenn es um neue Diabetestechnologien geht. Er antwortete mir:
Also ich denke (!), die eigentliche Aussage bezieht sich auf die 670G. Dies ist zu meiner Info das einzige in den USA durch die FDA zugelassene Hybrid-Closed-Loop-System. Dieses Pumpe wird nicht implantiert! Sie erfordert mehrere konventionelle Blutzuckermessungen pro Tag. Sie stellt trotzdem einen wichtigen Meilenstein dar. Wann sie in Europa / Deutschland verfügbar sein wird, ist mir nicht wirklich klar, vielleicht erst im nächsten Jahr!
Und die Kernaussagen der Pressemitteilung beurteilte Prof. Heinemann so:
… Konkret handelt es sich bei dieser modernen Insulinpumpe um ein geschlossenes Regelsystem, das unter die Haut eingesetzt wird… Falsch!
…und vollautomatisch den Blutzuckerspiegel für 3 Tage regelt… (Falsch! Neben den Blutzuckermessungen muss der Patient vor allem die Insulindosis zu den Mahlzeiten selber bestimmen (mit Unterstützung) / abrufen) und dann nachgefüllt werden kann.
„Möglich ist dies durch eine Insulinpumpe, die per modernen Sensor permanent den Blutzucker (Falsch, denn gemessen wird die interstitielle Glukose) misst und bei Bedarf die erforderliche Menge an Insulin zuführt.
Ab Juni diesen Jahres sollten sie dann auch in Europa erstmals erhältlich sein,“ freut sich Batellino. (Falsch: Letzter Punkt ist noch nicht sicher. In Deutschland setzt sich eine Arbeitsgruppe im G-BA mit diesem Thema auseinander!)
Damit ist das Thema inhaltlich nun endgültig für mich abgehakt. Was bleibt, ist ein fader Nachgeschmack in Bezug auf die journalistische Qualität in den oben genannten Medien. Es ist ja nichts falsch daran, Material aus Pressemitteilungen zu verwenden. Doch es ist viel falsch daran, dieses Material einfach unkritisch zu übernehmen, ohne es in irgendeiner Weise zu hinterfragen und im Zweifelsfall zu verifizieren. Auch ein medizinischer Laie sollte, wenn er sich eine implantierbare Insulinpumpe mit einer Kapazität für drei Tagesvorräte einmal bildlich vorstellt, in der Lage sein, die kritische Frage zu stellen: „Und was passiert, wenn die drei Tage rum sind?“
Es hat mich ungefähr eine Stunde gekostet, meine Zweifel an den Aussagen in der Pressemitteilung zu verifizieren. Und noch eine Stunde, um das alles hier für euch aufzuschreiben. Mit dieser Arbeit habe ich keinen Umsatz eingefahren, weil niemand mich mit dieser Recherche beauftragt hat. Ich schenke diese Arbeitszeit allen, die dem Hype um diese vermeintliche Wunderpumpe aufgrund der mangelhaften Recherche meiner Kolleginnen und Kollegen in anderen Redaktionen zunächst geglaubt haben. Gern geschehen. 🙂
Super Recherche, ist immer wichtig diese Schlagworte aufzuklären. Leider sind viele Journalisten schnell dabei zum Teil abenteuerlichen Geschichten zu veröffentlichen, dass man erklären muss, was das bedeutet. „Der Omnipad ist ja endlich die Lösung für euer Problem“ musste ich öfters hören. Klar, weil das Stechen in den Finger damit endlich wegfällt, hihi!
Danke dafür!
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